Schmuckmanufaktur "Wellendorff", Pforzheim 2012-2013
Wahre Werte
Hof versus Block
Über die Raumgestaltungen der inneren Schale
Der Firmensitz der Schmuckmanufaktur Wellendorf in Pforzheim stellt sich gegenwärtig als zusammengesetzter Block vor, dessen verschiedene Anlagen und Häuser mit Ausnahme des älteren nordwestlich gelegenen Gebäudeteils aus den ersten Dekaden der Nachkriegszeit stammen. Mit der inneren Anordnung des Turmes als neues Eingangsgebäude und dem Ausbau zu einer Doppelhofanlage wandelt der Entwurf den heterogenen Block entschieden zum Hof mit zentraler innerer Erschließung. Die aufgehenden Mauerwerke der beiden Höfe sind in der Flucht des Turmes im Inneren eingestellt und axial aufeinander bezogen. Inmitten der geometrisch regelhaften neuen Hofwände und der inneren unregelmäßigen baulichen Kontur der bestehenden Gebäudeteile bildet sich eine umlaufende Wandelhalle heraus, welche die horizontale Erschließung und unmittelbare Erreichbarkeit der unterschiedlichen Nutzungsbereiche im Gebäudeensemble sicherstellt. In der Mitte der Hofanlage übernimmt der Turm zwischen dem östlichen und dem westlichen Hof die vertikale Erschließung der verschieden Ebenen. Mit den proportional aufeinander bezogenen Raumkompartimenten von Tor, Passage, Schwelle, Hof, Schwelle und der zweigeschossigen Halle im Turm wird die östliche Eingangssituation vom Turnplatz ausgehend in einer großen Raumfolge neugestaltet. Über der Eingangshalle erheben sich die repräsentativen Bereiche und Zonen für Besucher und die Büroflächen der Betriebsleitung. Auf der obersten Ebene des Turms öffnet sich eine großzügige Terrasse, die die Rücksicht auf die Stadt gewährt. Der westliche Hof ist angehoben und überdeckt sein ursprüngliches Niveau, auf dem nach wie vor die Einstellplätze untergebracht sind. Während der östliche Hof das Herzstück der neuen Raumgestaltung des Entrees darstellt, lässt sich der westliche Hof, nunmehr von Verkehr und Anlieferung befreit, für allerlei Veranstaltungen und festliche Anlässe in Gebrauch nehmen. Über die umlaufende Wandelhalle sind beide Höfe an die unterschiedlichen Nutzungsbereiche der Manufaktur, des Museums, der Produktions- und Werkstattflächen und der Seminar, Besprechungs- und Verwaltungsbereiche angeschlossen.
Referenz und Reminiszenz
Über Geschichte, Tradition und Erinnerung
Das entwurfliche Prinzip, dem die innere Raumgestaltung der großen Hofanlage folgt, ist dasselbe, das auch den Florentiner Uffizien zugrunde liegt. In gleicher Weise, in der Giorgio Vasari nach seiner neuzeitlichen Raumvorstellung in das organische Gefüge der mittelalterlichen Stadt einen regelhaften, geometrisch und proportional präzise gedachten Stadtraum einfügt und diesen zugleich wiederum an das bestehende System organisch anschließt, ist auch die Doppelhofanlage mit Turm in die eigenwüchsige Struktur der bestehenden baulichen Anlage der Manufaktur eingelassen.
Der Zwischenraum der Wandelhalle vermittelt den Gegensatz von Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit, von Bestimmtheit und Zufall, von Gestaltung und Eigenwüchsigkeit, von Schönheit und „Hässlichkeit“, von Harmonie und Disharmonie. Der Entwurf setzt auf das dialektische Potenzial dieser Korrelation. Indem der raumgestaltende Ein- und Ausbau insofern den additiven Charakter des bestehenden Ensembles von innen heraus aufhebt, zieht er auch im Äußeren einen harmonisierenden Umbau zur differenziert gegliederten Großform nach sich. Bei der Börse von Hendrik Petrus Berlage geht dieser Affekt weniger aus dem Inneren als vielmehr aus dem Äußeren der umgebenden Stadt hervor. Während der Amsterdamer Bau seine sublime äußere Erscheinungsform mit Rücksicht auf den gewachsenen Ort findet, hebt die innere Kohärenz der Manufaktur folgerichtig auch die äußere Zusammengesetztheit weitgehend auf. Entscheidend ist jedoch, dass in dem einen wie in dem anderen Fall, vom Äußeren her oder aus dem Inneren heraus, die große Form eine vermittelnde Maßstäblichkeit bewahrt. Die entschiedene Wandlung vom Block zum Hof betrifft auch die Stadt. Auch hier mag die Spiegelung der Baugeschichte zur Klärung beitragen: Unverkennbar ist Aldo Rossis Berliner Block in der Schützenstraße ein Baustein der Stadt, der selbst wiederum auf der Verbindung von Struktur und Element aufbaut, d.h. der Block setzt sich aus Häusern zusammen, die überdeutlich in Form, Material und vor allem mit Farbe ihren eigenständigen Charakter behaupten und die jeweilige Adresse an der Straße repräsentieren. Mit der Wandlung zum Hof verlagert der Entwurf die Adresse der Manufaktur von mehreren äußeren zu einer einzigen im Inneren. Betont werden nicht länger die eigenständigen Charaktere der einzelnen Bauabschnitte des gesamten Ensembles, sondern vielmehr die Kohärenz der großen Hofanlage. Zwar bestimmen die bestehenden unterschiedlichen Konstruktionen das Dekorum der äußeren formalen Gestalt der Wände nach wie vor mit, zugleich aber werden sie in einer Union von Material und Farbe vereinheitlicht und zusammengefasst zur großen Form. Und wie in einer Umkehrung von Rossis Block erscheint das Äußere in gedeckten erdgebunden Farben, während die Polychromie erst im Inneren des Hofes gleich einer sich öffnenden Schatztruhe ihren spektakulären Auftritt feiert. Und wie bei jenem die öffentliche Widmung der Räume an den äußeren Rändern des Blockes einen abrupten Wechsel zum privaten erfährt, so führt die Hofanlage mit der großen Raumfolge des Entrees das Äußere ins Innere, vom öffentlichen Raum des vorgelagerten Platzes über halböffentliche in halbprivate und private Räume, über Passagen, Schwellen und Höfe in die aufnehmende mittige Halle der Manufaktur. Die Konzeption der Manufaktur als Hof tradiert die Geschichte der Goldstadt Pforzheim. Zum einen gilt das in einem typologischen Sinn, in dem die große Form an den Typus der Fabriken in der Stadt erinnert, beispielshalber an die ehemalige Schmuckfabrik Kollmar & Jourdan AG (1900-1910, 1922), in der heute das technische Museum der Schmuck- und Uhrenindustrie untergebracht ist. Zum anderen gilt das für die Übertragung der Konstruktion in die bisweilen aufwändige Dekoration äußerer Fassaden und auch für das verwendete Material selbst, für den Ziegel, der den Charakter „industrieller Architektur“ konnotiert.
Konstruktion und Material
Über die Analogie der Steine, Engoben und Farben
In den dekorativen Eigenschaften des Ziegels und seiner handwerklichen Verarbeitung in den Mauerwerken der Wände und der Pflasterung der Böden kommt zudem eine zweifache Analogie zum Ausdruck. Denn wie die Farben der kalten Emailen, die in die kostbaren Schmuckstücke eingelassen sind, sich in ihren Tönen und Namen auf die sinnliche Natur bezieht, so weist auch der hier zum Einsatz kommende Wasserstrichziegel mit seinen farbigen Engoben auf diese Veredelungstechnik der Schmuckherstellung hin und - über diese noch hinausgehend - gleichfalls auf die Sinnlichkeit der Natur. Die matten Engoben der dieser Stadt zugewandten Fassaden sind ganz in erdgebundenen helleren und dunkleren Brauntönen gehalten und nehmen insofern Bezug auf die hinweisenden Namen der Ringfarben: „Mocca“, „Karamell“ oder auch „Trüffel“. Bei den inneren Wänden wechseln die Engoben der Ziegel von matt zu glänzend und von gedeckten zu leuchtenden Farben: Der östliche rote Hof zeigt die Farbigkeit des Hibiskus, der schwarze Turm den verhaltenen Glanz schwarzer Seide, der westliche blaue Hof die Farbe des Vergissmeinnicht und der schlanke, stabförmige hohe Turm, der das Emblem der Manufaktur trägt, das Purpur des Flieders. Die Räume von Passagen, Schwellen und die Bekleidung des inneren Kerns im Turm weisen den hellen Glanz einer Perle auf.
Während die neugestaltete Manufaktur mit ihrer gebundene äußeren Farbigkeit auf die umgebene Stadt Rücksicht nimmt, stellt sich die innere Räumlichkeit der Hofanlage in ihrer Polychromie mit einer leuchtenden, schimmernden und glänzenden Farbigkeit vor, die hier in einer heiteren und dort mit festlicher Atmosphäre zum Ausdruck kommt.
Architektur der Manufaktur
Über Werte
Der Begriff Manufaktur ist heutzutage in der Bedeutung von Handfertigung mit exklusiver Qualität konnotiert. Die Architektur der Manufaktur ist diesem hohen Anspruch verpflichtet. Indem sie von ihrer Widmung spricht und die Bedeutung repräsentiert und auch darstellt, stiftet die Architektur in der Kohärenz des schönen Gebrauchs mit ihrer äußeren und inneren Erscheinung die neue Identität der Manufaktur in der Stadt Pforzheim. Die Architektur kennt ihre Geschichte und kennt ihren Ort. Jenseits der Moden spiegelt sie ihre eigene Tradition und berücksichtigt die Stadt. Mit der Wahl der Materialien und in der handwerklichen Verarbeitung sorgt die Architektur für Dauerhaftigkeit: So kann sie Zeit und Ort aufbewahren und ihrer kulturellen Verantwortung nachkommen.
Projekt: Schmuckmanufaktur "Wellendorff"
Anmerkung/en: [Projekt: Wettbewerb, Entwurf, Modell]
Ort: Pforzheim
Jahr: 2012 - 2013